In Vakuum verpackt liegen wir auf den Grenzen unserer Existenz.
Schön, dass du da bist, denke ich und lasse meinen Blick langsam seitlich über deine Konturen gleiten. Ich fühle mich leer. In mir drängt es alles aufzusaugen, jede winzige Kostbarkeit. Das sich unmittelbar in meiner Nähe befindende Gesicht mit allem, was darauf zu sehen möglich ist; die verlorenen roten Äderchen inmitten des schier endlosen Weiß der Augen. Oder der feine Flaum auf den Ohrmuscheln. Der Boden, auf dem wir eng in Decken gewickelt liegen ist hart und nicht unbequem.
Im laufenden Fernseher, der in der linken Ecke auf einer Kommode steht, wird durch eine sehr hübsche junge Frau von einer Naturkatastrophe berichtet. Ihr Haar ist in einem sehr dunklen Braunton – wahrscheinlich ist es schwarz – und die Lippen sind in einem auffälligen, jedoch nicht aufdringlichen, feucht schimmerndem Rot geschminkt. Ihr Blick wirkt angestrengt; sie macht eine ernste Miene, dennoch gehen ihr die schweren Worte ganz leicht über die Lippen. Es ist ihr Job, denke ich. Scheinbar befindet sie sich an jenem Ort der Katastrophe, denn im Hintergrund sind Störgeräusche auszumachen und ihre Haare werden von einem kräftigen Wind immer wieder ins Gesicht geweht. Mit der Hand, die nicht das Mikrofon hält, streicht sie die abhanden gekommenen Strähnen fast unmerklich aus dem Gesicht und hinter die Ohren, immer wieder. Trotzdem bleiben wenige einzelne Haare an ihrem Mund kleben. Das ist deutlich zu erkennen, wenn man die Augen mehrmals ganz schnell hintereinander zukneift und doch: Es scheint ihr nichts auszumachen. Schließlich hauche ich ihr einen geräuschlosen Luftkuss zu.
Verblüfft über mich selbst drehe ich den Kopf vom Bildschirm weg. Den Stimmen nach zu urteilen, wird zurück ins Studio geschaltet. Unmittelbar danach schließt sich ein Werbespot an. Mein Blick schweift durch den Raum. Ich suche die Fernbedienung, aber ich stelle fest, ich kann sie nicht finden. Ungestört möchte ich liegen, neben dir.
Liegen und träumen von dir und mir am Strand; was du machst, weiß ich nicht, aber ich esse Lebkuchenherzen und verliere mich im Anblick der säuselnden Wellen mit feuchten, roten Schaumkronen, die ich plötzlich sehr gern habe. Dann weine ich fast aus Rührung beim quälenden Anblick der sich auflösenden und verschwindenden Bläschen irgendwo auf dem sandigen Ufer. Die Lebkuchenherzen sind plötzlich nicht mehr wichtig; etwas in mir sagt mir, ich muss aufstehen und ohne Widerstand stehe ich auf. Das Handtuch, auf dem ich saß, fliegt davon. Das weiß ich, auch ohne mich umzudrehen.
Wackligen Schrittes werde ich den Wellen entgegengetrieben und mit dem Näherkommen steigt die Euphorie in meinen Körper. Die Augen tränen wie verrückt, ob vom salzigen Wind oder vor Gefühlen, ich weiß es nicht; was ich weiß, ist, dass ich angekommen bin. Ich dippe meine Fingerspitzen in das angenehm wärmende Wasser und sehe – die Fernbedienung. Da ist sie; mit geschwächtem Blick stelle ich fest: von hier aus komme ich nicht dran. Ein Gefühl der Beklemmung schleicht sich in meine Bauchgegend und ich frage mich: waren meine Augen auf oder zu?
Ich glaube, ich möchte an niemanden mehr denken, an keine Frau aus den Nachrichten mit üppigen, roten, unschuldigen Lippen; an nichts, was passiert ist oder noch passieren könnte.
Manchmal kommt es mir so vor, als hätte ich noch nie zuvor dein Gesicht betrachtet. Ich finde immer etwas Neues. So ist es doch. Dann betrachte ich es mit lebendiger Begeisterung, bis ich mich daran sattgesehen habe und kurze Zeit später finde ich wieder etwas Neues. So geht es immer weiter.
Carter Katz lebt in Bochum. Zuletzt von ihr erschienen “die herren” in Mischen #4. Sie schreibt auf Twitter und ihrem Blog.
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