Konsumstatus complicated. Von Julia Knaß

L. schreibt: Ich will deine Lisa sein. Konsumier mich!
S. schreibt: <3
T. schreibt: Hejhejhej, Moooment! Das hier ist ein Game, it’s called: begehren & begehrt werden. Du musst dich schon auch an die Regeln halten, Lisa!!!

Vor sechs Jahren ging Lisa jeden Abend schwimmen. Ihre Therapeutin nannte das „Fortschritt“. Lisa war es unmöglich gewesen, andere Körper zu berühren, sie zu umarmen, sich umarmen zu lassen, sie zu küssen, sich küssen zu lassen, sie zu ficken, sich ficken zu lassen. Weil das für ihren Körper ein nicht ertragbarer Eingriff in sie war, weil ihr Körper niemanden so nah an sie heranlassen wollte, weil ihr Körper so große Angst vor anderen Körpern hatte. Aber Lisa wollte unbedingt Berührungen und Umarmungen und Küsse und Sex, also musste sie ihren Körper ausschalten. Deswegen macht Lisa aber nicht Therapie, sondern weil sie oft das Gefühl hat, keine Luft zu bekommen und zu ersticken, aber sie erstickt nie wirklich. Immer, wenn sie deswegen panisch wird, duscht sie sich ihre Haut weg, bis es kein heißes Wasser mehr gibt. Auch, wenn sie in wenigen Minuten das Haus verlassen muss, zB wegen 1 Dates (mit H.). Dann föhnt sie sich notfalls sogar die Haare trocken, obwohl sie das so sehr hasst.

T. schreibt: Du solltest den Föhn nicht immer ins Waschbecken legen
S. schreibt: Oh Lisa!

Lisa liebt H. nicht mehr, aber sie denkt manchmal noch an sie, wenn sie masturbiert. Weil H. Lisa zb geschrieben hat, dass sie noch nie jemand so hart rangenommen hat wie Lisa. Sie weiß nicht, ob das nun gut oder schlecht sein soll, aber sie ist ein bisschen stolz auf sich. Lisa treibt also aus – eine Art von Bonding, zb Lisa schickt T. Fotos von Lampen. Stehlampen, Deckenlampen, Nachttischlampen. Lichtromantik. T. sendet Lisa Pics von angemalten Körperteilen. Sie schreiben mehr miteinander, weil sie noch nicht miteinander schlafen. Im Gegensatz zu F., der ihr nicht mehr schreibt: Als sie ihn das letzte Mal getroffen hat, hat er sie gefragt, was sie wieder in seiner Stadt mache. Warum sie zurückgekommen wäre. Es hat geschneit und er hat ihr Electric Dreams empfohlen. Sie hat F. geschrieben, dass sie die Serie gut fände, aber er hat ihr darauf nicht mehr geantwortet. Sie sieht den schalen Mond und denkt an seinen Schwanz und dass sie ihn immer so nah will, dass sie keine Luft mehr bekommt, so nah will sie F. Sie vertippt sich und schickt T. Anführungszeichen, sonst nichts.

T. schreibt: Du darfst vermissen, wen du willst
S. schreibt: Was willst du eigentlich, Lisa?

Irgendetwas hat sich verschoben (in L., in T., in ihnen), sie verschiebt zb sehr oft ihre Hand, um T. Emojis zu schicken. Lisa will allen von T. erzählen (es ist so annoying für sie. heart emojis.) und sie findet es 110.000 Prozent anstrengend, wenn T. mal keine Zeit hat, ihr zu schreiben. Also back to cishetero normatives Pärchen, Lisa. (Was anderes will T. nicht und Lisa will T.) Einzelbeziehung. Vereinzelung. Einzelhandel. FOR SALE. Werbepause. Rauchpause. Küssen ist auch nur im Anderen ersticken usw. Lisa ist fast immer zu müde für Sex, also wenn sie sich vorstellt, dass sie jetzt sofort mit jemanden schlafen sollte, zb mit T., dann denkt sie nur, wie anstrengend das wäre, dass es einfach viel zu anstrengend wäre. Mit diesem Gedanken schläft sie oft ein. Sie hätte ja gerne versucht, ihn zu berühren, aber ihre Hände waren schon viel zu schwer, um sie zu bewegen. Um etwas gegen ihre Müdigkeit zu unternehmen sagt Lisa manchmal zb „Fick mich, bis ich richtig wach bin.“

S. schreibt: Der Pool wartet nicht!!!
T. schreibt: Da sag ich jetzt nichts dazu, Lisa

Lisa kann sich seltsame Sachen vorstellen, sie hat alles relativ klar im Kopf, zb dass aus der Wand im Vorzimmer ihrer Wohnung pinke Zuckerwatte wächst und T. und sie das bestaunen; dass sie die Zuckerwatte angreift (sie fühlt sich sehr klebrig und warm an) und sie sich die Zuckerwatte dann in den Mund steckt. T. sagt, sie solle das lieber lassen, weil da Tiere in der Zuckerwatte wären. Lisa ekelt sich und spuckt den Zuckerwatteklumpen ins Waschbecken, wo er sich bewegt und wächst und wächst. Sie läuft ins Schlafzimmer, wo S. auf sie wartet. Lisa legt sich mit S. auf das Bett, nur ihre Hände berühren sich. Das Zuckerwattemonster sitzt auf der Decke und starrt sie an. Als S. den Raum verlässt, fliegt die Zuckerwatte zu Lisa aufs Bett und fragt Lisa, ob sie Sex mit ihr haben wolle. Lisa findet die Vorstellung geil, die Zuckerwatte fängt an, sie zu lecken. Leider kann Lisa sich nicht völlig darauf einlassen, weil ihr Körper noch immer nicht versteht, dass sie anderen nahe sein will, weswegen er sie nie kommen lässt, nicht einmal mit Zuckerwatte.

S. schreibt: Ich muss jetzt erstmal 1 Nachmittag Trash-TV schauen, um runterzukommen
T. schreibt…

Lisa hält ihre Kopfhörerkabel wie einen Rosenkranz. „Geht es dir gut, Lisa?“ T. berührt leicht ihren Arm und zieht ihr das Kabel aus dem Ohr. Sie möchte ihn brechen. Lisa malt sich alle Körperstellen, an denen T. sie gestrichen hat, rot aus. Rote Linien, rote Augen, rote Früchte, rot sehen usw. Man sagt ja, mit Haut und Haaren, man sagt ja, verfallen, man sagt ja grundsätzlich sehr, sehr vieles, wenn der Tag sich die Augäpfel rausreißt, denkt Lisa. Sie antwortet T., dass es ihr nicht soo gut gehe. Dass sie eigentlich lieber alleine sein wolle, weil sie andere Körper, wie T., nicht auf Dauer aushalte. Außerdem erträgt sie echt nicht, wie T. zb einatmet oder sich die Schuhe anzieht, aber das erzählt sie ihm nicht. Sie denkt an das Zuckerwattegefühl zwischen ihren Beinen. Und an die Lampensammlung auf ihrem Handy. Lisa hat sehr, sehr viele Steine im Hals und atmet schwer. Sie dreht das Wasser so heiß auf wie möglich.

T. schreibt: Es gibt keine passenden Momente für sowas, Lisa
S. schreibt: Du kannst nicht alles haben

Lisa glaubt nicht an Höhepunkte. Alle sprechen nur von Spitzen, das Leben als orgastisches Genussfestival usw. Lisa ist nach wie vor mehr als zufrieden, wenn sie Berührungen erträgt, sie spricht von Fingerspitzen auf ihrer Haut aushalten können. Sie fühlt sich gut, wenn sie mit anderen Körpersachen machen kann, ohne dass die anderen Körper merken, dass ihr Körper alleine sein will. Sie schmiert sich Kirschsaft auf ihre blauen Flecken und fragt sich wie Verfärbungen schmecken könnten. Lisa will jetzt außerdem eh keine Einzelbeziehung mehr, sie will mehr ficken und hart gefasst werden und mehr über Körper erfahren usw. Lisas Körper ist ein Stein geworden. Willst du echt Sex mit einem Stein haben. Blablabla, denk jetzt ja nicht an schöne Steine, zb Marmor oÄ, denk an eine Schottergrube.

S. schreibt: Mir gefällt dein aggressiver Ton sehr <3
T. schreibt: Du bist schon irgendwie legendär, Lisa, aber not in a good way

Lisa hat verschiedene Möglichkeiten, das heißt: sie hat keine. Aber oberflächlich betrachtet läuft eh alles, okokok.

L. schreibt: Ich will deine Lisa sein. Konsumier mich!

Julia Knaß ist Mitherausgeberin der Literaturzeitschrift mischen, lebt und schreibt in Graz. Auf Twitter ist sie hier zu finden.

Weitere Texte von Julia Knaß:
Antworten, nur symbolisch von Julia Knaß

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2 comments to “Konsumstatus complicated. Von Julia Knaß”

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