ICH KANN NICHT MEHR WEINEN. ICH KOTZE. Von Sarah Berger


Ich starre in das Nichts meines Geschlechts. Ich starre in meine Scham. Ich sehe mich beim panischen Versuch die blutverschmierte Unterhose in einem Haufen weißer Wäsche zu verstecken aber meine Eltern wissen es. Ich habe keine Antwort auf die Frage, warum ich mich nicht getraut hatte, etwas zu sagen. Warum ich mich nicht getraut hatte, auf meine erste Periode aufmerksam zu machen, mir Hilfe zu holen, Beistand, Fürsorge. Ob ich wüsste, was es bedeute: Regelblutung, Zyklus, Fruchtbarkeit. Ich kann mich nur daran erinnern, wie sehr ich mich schämte, wie sehr ich mich ekelte, wie sehr ich mich hasste, wie sehr ich niemandem zur Lust fallen wollte, wie sehr ich wünschte, zu verschwinden, wie sehr ich wünschte, nie existiert zu haben. Ich starrte auf meine Hände, während mir die Funktionsweise von Damenhygieneprodukten gezeigt wurde.

Hier beginnt es, das Frau-sein. Diese seltsame Hülle. Oder Hölle. Eine Schande: Schwangerschaft! Diese deine größte Potenz ist zugleich deine größte Fessel. Von hier an bist du in ein Gefängnis geboren und ein lächerliches Schauspiel beginnt: du darfst keinen Sex haben und wenn du Sex hast, darf er dir nicht gefallen und wenn er dir gefällt, dann hat er als Erniedrigung statt zu finden und wenn er als Erniedrigung statt findet, dann entscheidet das ER – von allen Ecken und Enden wird an deiner Freiheit gezerrt. Du bist dann das Objekt: deines Vaters, deines Liebhabers, deines Ehemanns, der Kunst, der Literatur, der Modemagazine, der feuchten Träume deiner Freunde, Kollegen, Chefs, Nachbarn, der Werbeindustrie, Hauptdarstellerin jeder Liebesschnulzen und jedes Cum-Shot, it’s my plesure.

Auftritt: der Mann! Herrlich ausgeleuchtet und in Szene gesetzt, der edle Retter, der grausame Zerstörer! Inszeniert in diese dauerhafte Ambivalenz, als imprägnierter Stresszustand – ER ist nun mal so: außen hart und innen ganz weich … das, was gemeinhin als männlich bezeichnet wird, ist ein hektischer Zustand dauerhafter Ungewissheit; nur so kann ER sich als Macht inszenieren, in dem er seine eigene Unzulänglichkeit in Bezug auf seine Sexualität und sozialen Staus als potentielle Gewalt externalisiert und jegliche Verantwortung für das eigene Verhalten zur Verantwortung des schwachen Geschlechts erklärt. Oder wie ist es möglich, dass ein Vergewaltiger frei gesprochen wird, weil die Geschädigte zum Tatzeitpunkt einen Tanga trug? Statt die eigene Sexualität zu kultivieren, wurde die Vorstellung über die weibliche Sexualität als Maßnahme zur Selbstregulation stilisiert, ohne die Frau überhaupt als Subjekt wahrzunehmen. Vibrationen statt Vibratoren! Wir legen uns euch zu Füßen, befreit uns in die Hochzeit, gebt uns unsere Freiheit zurück oder wenigstens das bisschen Sicherheit.

Naja, und dann küsst der Prinz die Prinzessin und sie reiten in den Sonnenuntergang. Das ist so peinlich menschlich, es mussten eine Millionen Bücher darüber geschrieben werden, so viele, dass sich dieser totale Wahnsinn, diese irrsinnige Phantasie – nur ein total betrunkener Deutscher könnte sich so etwas abgrundtief Abscheuliches ausdenken – einfach so in unser Sein gefräst hat, dass es unsere Handlungen bestimmt, unsere Gesellschaft bestimmt, unsere Wünsche und Träume bestimmt, unsere Ich-Ideale bestimmt und jede Figur, die wir spielen, bestimmt. Und wir haben es so oft durchgespielt, dass es uns nicht ein mal mehr verletzt, nein, wir sind schon ganz taub vom Schmerz und jede weitere Wiederholung der ewig gleichen Geschichte erzeugt bei uns nur noch gähnende Langeweile.

Gerade sind wir in dieser Phase, in der kleine Kinder, wenn man versucht, ihnen etwas zu erklären oder zu zeigen, einfach die Ohren zu halten, und die Augen zupressen und schreien und kreischen, Trotzphase nennt man das vielleicht, ich hab keine Ahnung, ich habe keine Kinder, ich habe das vielleicht auch nur bei Freud gelesen, ich weiß es nicht mehr aber wenn ich meinen Blick in die Welt richte, dann sehe ich eben in den Augen all dieser erfolgreichen Zerstörer vor allem eines: infantilen Trotz!

Und letztlich erstaunt mich, dass die Menschheit bei all der Potenz, so unglaublich erbärmlich ist.

Ich starre also in das Nichts meines Geschlechts. Ich starre also in meine Scham. Ich starre in drei Löcher und während ich rein starre, mit gespreizten Beinen vorm Spiegel sitze, wundert es mich, dieses ganze Theater, dieser schlechte Witz. Ich sitze am Hoteltresen und der cute, viel zu junge Rezeptionist fragt, ob er noch etwas für mich tun könne und ich denke: Fick mich. Aber warum sollte ich das laut aussprechen, ich erspar uns beiden diesen peinlich Moment und verabschiede mich in meine Phantasie. In meiner Phantasie sind alle Schwänze schön. In meiner Phantasie sagte Laure: Ich kann nicht mehr weinen, ich kotze und dann kotzt sie mir auf den Teppich und es ist okay. Wir sollten alle mehr von uns selbst auskotzen, vielleicht sind wir nach ausreichender Entleerung endlich empfänglich für einander.

Und Kristeva fragt: Falls es nun aber doch eine weibliche Libido gäbe, wäre dann eine Erotik des rein Weiblichen vorstellbar?

Und Cixous antwortet: Es ist unerläßlich, daß die Frau mit ihrem Körper schreibt, daß sie die unbezwingliche Sprache erfindet, die die Abschrankungen, Klassifizierungen und Rhetoriken, Vorschriften und Kodierungen kaputtschlägt. Daß sie die letzte Rückzugreserve des Diskurses überflutet, durchdringt, sich darüber hinwegsetzt, auch über jenen Diskurs dem es es nichts ausmacht das Wort „Schweigen“ auszusprechen zu müssen, jenen der das Unmögliche anstrebt, der genau vor dem Wort „unmöglich“ innehält und es als „Ende“ schreibt.

Und Laure sagt: Um dich frei zu machen, mußt du dir Ketten ausdenken, die ich wäre. Folglich gibt es etwas zu zerbrechen, eine Ordnung von etablierten Dingen zu übertreten. […] Du bietest mir das Äußerste eines Jungen, der aus dem Beichtstuhl kommt und dorthin zurückkehren wird. […] Deine volle Freiheit und die meine kann mit mehr Stolz, und sogar ohne das Gelächter auszuschließen, erhalten werden.

Und ich sage: Fick mich aber nimm dafür nicht deinen Schwanz, vergiss ihn. Fick mich mit deiner Zunge; dann hat dieses ewig zirkuläre sich-versprechen ein Ende.

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Photos: Laura Hoffmann

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