Die Kiffer der Stadt
Sie haben eigene Magazine, Shops, Clubs, Lobbyvereine und sogar ein eigenes Hanf-Museum. Kiffer*innen sind eine der größten Szenen Berlins. Und das obwohl es sie von Gesetzes wegen eigentlich gar nicht geben dürfte. Nur, wer zählt denn eigentlich dazu? Die, die es gerne tun oder tun würden? Die sich damit gut auskennen, politisch beschäftigen oder es häufig konsumieren? 41,5 Prozent der Berliner*innen haben angeblich schon mindestens einmal in ihrem Leben Gras geraucht.
1,2 Prozent nehmen es „exzessiv“, heißt es. Die jedenfalls werden ihre Quellen haben und nicht im Görli, Hasenheide oder Revaler Straße kaufen. Insofern könnte ihnen die Debatte darüber auch egal sein. Seit mehreren Jahren werden die bekannten Umschlagsplätze zum ideologischen Testgelände diverser Fraktionen. Zumindest die Repressionspolitik Henkel-Style kann man wohl vorerst als erfolgreich gescheitert betrachten. Weder die zahlreichen Razzien, oft mit rassistischem Charakter, noch das Erklären des Kreuzberger Parks zum “Ausnahmegebiet” haben nennenswert etwas am Zustand verändert. Das einzige, was diese Aktionen vielleicht bewirkt haben, ist, dass mehr Polizeibeamt*innen die rechtlichen Grundlagen kennen. Als diese nämlich am 14. Mai beim 2. Großen Solidaritäts-Kiff-Inn das von der „Bundesopiumstelle“ beim Bundesinstitut für Arzneimittel medizinisch ausnahmegenehmigte Gras des ADHS-Patienten Pino W. konfiszierten, bekamen sie danach juristisch auf den Deckel. Das Ergebnis ist ein dreiseitiger Leitfaden, in dem genau erklärt wird, wann das Rauchen von Cannabis aus medizinischen Gründen legal ist.
Viele meinen die legale Abgabe könnte helfen. Mein Kollege Simon Kowalewski, bekennender Fraktionssprecher für ätherische Fragen, forderte schon 2013 die doppelte Legalisierung, also die der Menschen und der Gräser. Und mittlerweile ist ja sogar die Berliner SPD dafür. Also für die Gräser, nicht die Menschen. Das Bezirksamt Friedrichshain-Kreuzberg hat endlich – gefühlte 5 Jahre nach der Ankündigung dazu – eine Ausnahmegenehmigung für legale Coffee-Shops im Görli und anderswo beim in Bonn ansässigen Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte beantragt. 25 Seiten, die ein schönes Symbol, aber ansonsten wohl eher für die Katz sind. Aber vielleicht geht es ja doch eher um symbolische Schritte. Immerhin muss die Bevölkerung mitgenommen werden. Also kiffende Vorbilder? So wie im Song von Stefan Raab? Da kommt mir dann diese Anfrage eines Berliner Boulevard-Magazins in den digitalen Briefkasten geflattert.
Ob ich schon mal gekifft habe. Und ob ich das auch zugebe. Ein Bekenntnis also. Aufgewachsen in der Studentenstadt Münster, wohnhaft an der Grenze zu Friedrichshain, Büro in Kreuzberg mit Laufreichweite zum Görli. Was gibts da noch zu bekennen? Dass ich gekifft habe? Dazu müsste das erst jemand in Zweifel ziehen. Ich bin ratlos und frage einen befreundeten Autor und Deutschrapper, Chucky Goldstein. Er schreibt mir: „Mit 16 habe ich das erste Mal an einem Joint gezogen und es war wie der erste Kuss, also der erste Schritt zur Sucht.“ Hmm… 16 war ich auch. Aber so poetisch werde ich das sicher nicht hinkriegen. Dann lasse ich das wohl lieber. Aber die meisten Dinge werden ja sowieso durch Innovation und Marktwirtschaft gelöst. Das Gute ist ja, dass ich diese Zeilen in den USA schreibe. Vielleicht schaue ich einfach mal in Colorado vorbei. Dort wurde Cannabis 2012 durch das sogenannte Amendment 64 legalisiert. Es gibt dort zahlreiche neue Geschäftsmodelle – unter anderem „Kiffer-Touren“ – und Einnahmen über die 25 Prozent Verkaufssteuer. Mal schauen, wie sich die Szene dort so entwickelt hat. Und vielleicht erfährt man ja auch ein bisschen was über Berlin.
von Fabio Reinhardt