Ich kann feiern, sehr gut sogar. Elektro, gerne Hip Hop, Bar, Club, Privat. Ich kann das. Bis übermorgen wenn es sein muss. Doch nicht hier. Nicht im King Size. Wir funktionieren nicht zusammen. Nicht damals, nicht heute. Immer wieder probiert, zu zweit, zu viert, in Gruppen, kleiner Schwips, großer Rausch und immer mit der selben Erkenntnis nach Hause gefahren – ich fühle es nicht. Nämlich das, was andere berichten, sie immer wieder hingehen lassen, die unvergesslichen Nächte. Der Exzess. Wieso fühle ich es nicht?
Es fing mit einer Liebesgeschichte an. Oder so ähnlich. Zumindest von meiner Seite. Romantisch wird es trotzdem nicht. Eher realistisch. Vielleicht sogar erbärmlich. Aber so ist das mit dem verliebt sein, es macht einen lächerlich und lässt dich Orte aufsuchen, die du nicht magst. So wie damals. Woche für Woche verabschiede ich mich, bei Sonnenaufgang, von meinen Freunden, um noch mal eben ganz kurz vorbei zu fahren. Hallo sagen. Er arbeitet. Taxi, Kurzstrecke, Oranienburger Tor. Mein Herz klopft. Ich muss klingeln, von der legendären Schlange ist nichts mehr zu sehen, die Straße schon lange ruhig. Frank öffnet die Tür; „Grüß dich, Daniela“. Es ist mir ein Rätsel wie er das schafft, all die Namen und Gesichter, er kennt sie. Fühlt sich gut an. Als wäre man wirklich willkommen. Ein Hauch von Wärme am kalten Eingang. Das letzte Mal, dass ich sie für diesen Abend spüre.
Ich sehe hauptsächlich Menschen mit denen ich bei Tageslicht nichts zu tun haben möchte.
Er hinter der Bar, ich davor. Ein halber Meter Holz, der entscheidet über Nähe und Distanz. Kurze Umarmung. Sein Blick verrät nichts. Ein Drink. Erst mal an die Bar setzen und warten, hoffen, bangen, beobachten. Beobachten! Ich sehe hauptsächlich Menschen mit denen ich bei Tageslicht nichts zu tun haben möchte. Männer im Anzug, die durch ihr Geld für Frauen in geschmacklosen Kleidern, attraktiver werden. Attitüde ohne Ende. Hier geht es ums gefallen. Das Prinzip ist einfach.
Wer viel Titten zeigt gewinnt. Ich gehöre nicht dazu. Ich mag es nicht durch meine Brüste neue Leute kennenzulernen. Spießig, ich weiß. Das Warten und Beobachten wird mir unangenehm, ich muss kurz nachdenken. Ab zum Klo. Herz und Kopf justieren. Ich quetsche mich also durch, vorbei an lustvollen Blicken, grapschenden Händen, Schweiß, Brandlöchern, Koksresten, aufdringlichem Parfum. Was bei Tag nicht mehr als 15 Schritte sein können, wird zu einem Spießrutenlauf – aus Ekel, Scham, Neid. Neid? Ja, das Gefühl zu verspüren nicht dazu zu gehören, obwohl man es nicht mal will. Paradox. Doch für diese eine Nacht würde ich gern. Es wäre einfacher ein Teil davon zu sein. Sich kurz gehen lassen zu können, koste es was es wolle. Die Regeln des Spiels der Nichtigkeit und Oberflächlichkeit zu verstehen. All in. Wieso fühle ich es nicht?
Klotür zu, kurz durchatmen, den klebrigen Wodka Tonic vom Arm wischen, nachdenken. Gehen? Bleiben? Mein Kopf dröhnt. Noch ein Drink, vielleicht gehen wir bald zusammen nach Hause. Lautes klopfen an der Tür, ich schrecke auf, zurück in der Realität. Ist das die Realität? Wohl kaum. Tür auf, ein kurzer Blick in den Spiegel. Geht nicht, er hängt zu hoch, ich bin zu klein. Wieder der Weg durch die Bar – hysterisches Lachen, schubsen, flüstern, Blicke… über der Tür ein rotes Licht, für mich der Notausgang ins Bett. Doch mein Herz biegt vor der Tür links ab, zurück zur Bar. Mit etwas Glück auf das Samtsofa in der Ecke. Ein kleiner Rückzugsort. Ich werde in Gespräche verwickelt, Plump sind sie. Ich gebe mir Mühe. Aber beherrsche es nicht, das Spiel der aufgesetzten Selbstinszenierung, der Arroganz, des Flirtens auf niedrigstem Niveau. Was für die anderen wie ein geschützter Raum wirkt in dem sie sein können, wie sie gerne wären, fühle ich mich langweilig und gelangweilt, prüde und einsam. Die schlimmste Form von Einsamkeit. Das Gegenteil von Zusammen ist man weniger allein. Fremdkörper.
Ein Oxymoron. Ich will nach Hause, er muss noch arbeiten. Letzte Woche hatte er um die Zeit schon Feierabend. Ich kann nicht mehr warten. Die Einsamkeit treibt mich nach Hause. Wieso fühle ich es nicht? Ich schlafe ein. Traurig, ohne ihn. Zufrieden, weil zurück bei mir – in meinem Leben. Ohne Schein. Bis zum nächsten Wochenende.
“Ich hab es nie gefühlt – Über eine Liebesgeschichte, die keine wurde” von Daniela Wilmer stammt aus der 2017 erschienenen Anthologie “Nutzloses Gesindel – Geschichten aus dem King Size”. Bisher aus diesem Buch hier erschienen sind “Das trunkene Schiff” von Udo Tietz und “King Size III.” von Julia Schramm.
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