Michelle-Francine Ulz
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I ONCE FUCKED THEM ALL: ÜBERNACHTUNGSMÖGLICHKEITEN. VON MICHELLE-FRANCINE ULZ & JULIA KNAß

Ich bin 18, du bist ein Staubkorn. Ich habe seit drei Tagen nicht geduscht, meine Haare sind vom Sand verklebt, ich trinke jeden Tag eine halbe Flasche Wodka und Bier, wir schlafen in Zelten und ich halluziniere zwischen Konzerten auf meiner Isomatte, dass neben mir eine Orgie stattfindet. Dich treffe ich bei irgendeinem Konzert am letzten Tag, ich weiß nur, wir ficken im Zelt von einer fremden Person und dann hinter irgendeinem Gebäude, ich weiß auch das nicht mehr wirklich, nur dass du mir deine Nummer gegeben hast, die ich nie gewählt hätte.

SEX & PERSPEKTIVE. TEIL EINS. VON SARAH BERGER

Gleich ruft sie: „Kommst du!“ Am Fuß der Treppe haben sich unter den fünfzehn Paar Schuhe kleine braune Pfützen gebildet. Keine von uns hat mit Schnee gerechnet. Ich kann mich nicht daran erinnern, wann es das letzte Mal geschneit hat. Es muss schon einige Jahre her sein, wir waren überrascht und die Schuhe nass. Das Schmelzwasser unter den Solen verteilt sich langsam auf den Kacheln. Es ist grundsätzlich schwer, Flüssigkeiten zu trennen. Mit dem Mund geht es, wenn ich einfach die Lippen schließe. Ich bleibe verschlossen

EIN GESPENSTERBRIEF. EIN TEXT VON JESS TARTAS

Mein liebes Gespenst,
wie geht es dir im Dazwischen? Seitdem es losgegangen ist, du weißt schon, diese Sache seit Januar, März, fühle ich mich dir so nah wie nie. Meine Tage sind Hüllen, in denen ich erwache und zurechtfinden muss; ich stelle mir mein tägliches Erwachen wie frische Gespensterkleidung vor. Ein Laken, das mir jeden Morgen von einem unsichtbaren Wesen übergeworfen wird und in dem ich mich fortan befinde.

Perpetuum mobile. Ein Text von Alexander Graeff

Früher beklagte ich mich immer über meine Fernbeziehung. Ich schrieb herzerweichende Briefe voller Sehnsucht und Was-wäre-wenn-Spekulationen – einmal sogar eine Erzählung, der ich den Tiel Leer gab. Genauso fühlte ich mich nach unserer Begegnung dann oft, leer. Unsere Berufe ließen nicht zu, jedes Wochenende einander besuchen zu können. Mehr noch: der verdammte Beruf war auch der Grund, weshalb er weggezogen war.

WIE WIR HEUTE FREIHEIT NEU ERFINDEN MÜSSTEN. VON SARAH BERGER

Du kannst eine Person nicht ewig lange kennen lernen, ohne mit ihr Sex zu haben, schoss es dir sogleich durch den Kopf beim Lesen des Artikels. Ohne mit ihr Sex zu haben, wirst du sie vielleicht niemals ganz kennen lernen. Ohne sie zu umarmen und ihr durch die Haare zu streichen, ohne sie fest an dich zu drücken, ohne dich ihr ganz und gar hineinzuwürgen. Lann hätte das wissen müssen.

Taubentreten. Eine Geschichte von Jonathan Löffelbein

An einem etwas zu warmen Februarmorgen, um 11 Uhr 24, ereignete es sich, dass H. begann, gut über 300 Tauben zu treten. Natürlich fragten sich die umstehenden Leute auf dem belebten und weitläufigen Marktplatz, was das zu bedeuten hatte. Warum da diese Person auf dem Marktplatz stand und mal sehr gezielt, geradezu bedacht, dann einfach nur wütend und trampelnd und stampfend Tauben zu treten suchte.

Kummeraugen. Ein Text von Carter Katz

Schön, dass du da bist, denke ich und lasse meinen Blick langsam seitlich über deine Konturen gleiten. Ich fühle mich leer. In mir drängt es alles aufzusaugen, jede winzige Kostbarkeit. Das sich unmittelbar in meiner Nähe befindende Gesicht mit allem, was darauf zu sehen möglich ist; die verlorenen roten Äderchen inmitten des schier endlosen Weiß der Augen. Oder der feine Flaum auf den Ohrmuscheln. Der Boden, auf dem wir eng in Decken gewickelt liegen ist hart und nicht unbequem.

Netzwerkstatus disconnected. Ein Text von Julia Knaß

Weinen ist für Lisa wie atmen, aber sie vergisst manchmal, zu essen und sie vergisst manchmal auch Sex, zb für fünf Jahre. Ihre Bedürfnisse schwanken über ihre Gefühle wie über eine morsche Hängebrücke bei Regenwetter. Alles verrutscht andauernd in ihr, alles verfällt und bevor sie es schafft, angemessen zu reagieren, und zb auszuweichen oder sich festzuhalten, befindet sie sich erneut im freien Fall. GAME OVER. REPEAT.

Isoliertes Wesen. Ein Text von Sonja Seidl

Ob er ein Vampir sei, fragte ich, ihn mit meinem Blick dabei verfolgend, wie er mit einer Papiertüte in der Hand vorbeiging, draußen. Ganz in Schwarz. Daran lag es aber nicht. Er begab sich auch ins Tageslicht mit einer Regelmäßigkeit, die daran zweifeln ließ, dass er vampirischen Wesens (Stoker zufolge macht Licht gar nicht so viel aus, es schwächt nur ein bisschen).

Caro Katz
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Reise ins Ausland. Ein Text von Carter Katz

Die Heizung pustet mir viel zu warme Luft ins Gesicht. Ich denke, ich müsste ersticken. Wie das Ding auszuschalten ist, erklärt sich mir nicht. Dann kommt der Einfall, den Kopf aus dem Fenster zu strecken. Ich tue es so gut es eben geht, um währenddessen nicht von der Fahrbahn ab zu geraten. Dabei gebe ich etwas mehr Gas, um mit der Maschine die auf der Fahrbahn schwirrenden Nebelschwalle in großen Löchern zu durchbrechen. Mein Kopf fliegt.