Wir setzen das Leben mit dem Tod gleich. Von Ruth Herzberg

Repost aus Coronik vom 30.03.2020

Montag. Der Böse. Ich denke an ihn und frage mich, ob er Trost braucht und schreibe ihm und plötzlich bin ich es, die Trost braucht, denn er antwortet mir nicht. Wie lange wartet man auf Antwort. Ab wann versucht man es noch einmal. Eine Stunde, zwei, drei, 24 Stunden, einen Tag, zwei Tage, drei Tage.

Ab wann wäre es neurotisch, noch einmal zu schreiben, ab wann muss man sich Sorgen machen. Ist er überhaupt verpflichtet, zu antworten. Er ist doch nicht dazu verpflichtet. 

Wahrscheinlich hätte ich lieber gar nicht schreiben sollen, er hat doch auch nicht geschrieben, warum hat er eigentlich nicht geschrieben.

Dass dieser Tag irgendeinen Sinn bekommt, darum muss ich mich kümmern und es darf nicht so ein Tag werden, an dem ich auf Antwort von ihm warte. 

Ich bin allein mit den Kindern, ich muss stark sein, ich muss sie beschäftigen, die Beschäftigung muss sinnvoll sein, wir brauchen eine Tagesaufgabe und die müssen wir erfüllen, wir müssen etwas schaffen und einkaufen muss ich gehen und auch schon wieder mal aufräumen. Die Kinder sind gesund und munter und ich bin gesund und munter, so dermaßen gesund und munter und alles ist gut, so gut, so dermaßen gut. 

Jetzt sagen sie auch noch alle, dass man Masken tragen soll. Dass es überhaupt eine krasse Rücksichtslosigkeit wäre, dass hier IMMER NOCH NICHT alle Masken tragen würden. Eine Atemschutzmaske würde das Risiko, andere zu infizieren, um so und soviel Prozent verringern. In Asien würden auch alle Masken tragen und wir Westler sollten uns daran gewöhnen und es wäre unvergleichlich arrogant, das nicht zu tun. 

Ich will keine Atemschutzmasken tragen müssen.

Dann wäre es ja komplett wie das Leben einer Frau in Saudi- Arabien oder so. Den ganzen Tag wird man zuhause eingesperrt und wenn man rausgeht, darf man es nur noch verhüllt tun. 

Wir haben endlich das ultimative Mittel gefunden, um uns für immer zu versklaven: 

Wir setzen das Leben mit dem Tod gleich. 

Der Anblick eines menschlichen Gesichtes ist der Tod/ Spielende Kinder sind der Tod. /Theater/ Kinos/Clubs/Restaurants/Cafés/Bars/Besuche sind der Tod. /Spaß ist der Tod./Glück ist der Tod./ Nähe ist der Tod./ Kontakt ist der Tod/ Liebe ist der Tod.

Ich schaue mit den Kindern Lach- und Sachgeschichten auf Youtube und Armin Maiwald erklärt alles so schön. Und jetzt will ich doch Trost. Ich möchte mich auf Armin Maiwalds Schoß setzen und er soll mich festhalten und mir sagen, dass ich mir keine Sorgen zu machen brauche, dass alles gut wird und schnell vorbeigeht und dass es keinen Grund zur Panik gibt.

Ruth Herzberg ist freie Autorin/Künstlerin aus Berlin. Weitere Texte und Comics aus ihrem Corona Diary auf frauruth.de.

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