Landweg Religion. Von Boris Guschlbauer

Auf Reisen ist der Landweg Religion, in Zeiten von Fridays for Future fast schon Pflicht. Am Boden bleiben, Klima schützen, Gewissen rein halten, Greta gratulieren.

Und in welcher Stadt kann man seinen Blick nicht weiter über den Boden schweifen lassen, als in Istanbul. Eine kurze Fahrt mit dem Schiff über den Bosporus und diese ewige Straße Richtung Osten rollt sich bis über den Horizont und weiter wie ein Perserteppich vor einem aus. Kindheitsträume von orientalischen Märchen, mystischen Seidenstraßenstädten, Kamelkarawanen und Oasen schieben sich in die Realität. Der asiatische Kontinent erscheint hier noch unendlich.

Schnell erreicht man die Stadt Konya. Ums Eck von Rumis Mausoleum, werfen die Derwische ihre braunen Mäntel ab, küssen sich gegenseitig auf die Wange und beginnen sich fast endlos zu drehen. Ihre weißen Röcke erblühen wie Blumen in der Frühlingssonne. Dabei werden die islamischen Mystiker zur Drehbewegung der Welt – die Beobachter ihres Tanzes beginnen plötzlich die Planeten, ja, das ganze Universum zu verstehen.

Derwische in Konya

Weiter östlich, auf dem Gipfel des 2150 Meter hohen Nemrut Dagi befindet sich das Grabmal Antiochos. Hier lässt man den Blick über die im Sonnenuntergang rot glühenden Hügel schweifen, die das Auf und Ab des Lebens in der Vergangenheit verkörpern. Am nächsten Morgen lässt man sich von den hellen Strahlen des Sonnenaufgangs wärmen, die ein warmes Licht auf die Zukunft werfen. Erleuchtung fast garantiert.

Nemrut Dagi

Entlang der Grenze des Iran und vorbei an dem Berg Ararat mit seinen Resten der Arche im Gletschereis. Grenzübertritt in ein neues Land, in dem nun Wein anstatt Milch und Honig fließt. Georgien empfängt einen mit trunkenen Armen und man torkelt durch die Straßen von Tiflis mit seinen malerisch zerfallenen Häusern. Beim Trampen durch den Kaukasus wird dir der große Plastikbecher immer wieder mit dem Blut Christi gefüllt, um die Liebe im Herzen zu zementieren.

Heilige Flamme in Baku

Georgien ist nicht groß und schon klopft ein neues Land an den Verstand. In Aserbaidschan fließt wie in der Türkei wieder Chai in die Kehle – und das Erdöl aus dem Boden, so dass die Hauptstadt Baku blitzt und blinkt wie die Parfümabteilung eines Einkaufszentrums. Das viele Geld lässt die Menschen dort nach Konsumgütern gieren, so dass selbst die ewige Flamme im Tempel durch den Verkauf von zu viel Gas erlosch und man eine Leitung verlegen musste, um die Flamme der Spiritualität neu zu entfachen. Das Goldfieber macht selbst vor Religionen nicht halt.

Durch Kasachstan

Plötzliches Landende. Das Kaspische Meer versperrt die Weiterfahrt, doch eine altgediente Fähre reitet einen über die Meereswogen und man bumst seine wunderbare Freundin im Einklang mit dem Heben und Senken des Schiffes. Orgasmus eins, zwei, drei und vier und fünf und sechs und sieben und acht und schon hat man den Landweg zurück und windet sich wie eine Schlange mit dem Zug durch die endlosen Steppen Kasachstans. Verkäuferinnen in bunten Kleidern drängen sich durch die Waggons und bieten alles von Essen, über Socken, bis hin zum Geldwechsel. Sie verschwinden und viel zu junge Soldaten mit Wespentaille und Drogenhunden -die eigentlich nur spielen wollen- erscheinen anstatt ihrer.
Mit Usbekistan erreicht man ein Land, das den Traum eines orientalischen Märchens verkörpert. In der Stadt Khiva werden Sklaven verkauft, in Buchara lernt man in einer Madrasa den heiligen Koran auswendig und wird für ein religiöses Vergehen vom bunten Minarett gestoßen. Eine Kamelkarawane bringt einen nach Samarkand und man ersteht Gemüse auf dem Markt hinter dem Registan, um als Vegetarier mal etwas anderes in den Magen zu bekommen als immer nur Plov, dieser in Ziegenfett gebratene Reis mit einem Hauch an Karotte. Man liebt Zentralasien für seine kulinarische Vielfalt – not!

Khiva, Usbekistan

In Tadschikistan folgt man der Nordgrenze Afghanistans. Auf der anderen Seite des kleinen Grenzflusses entdeckt man Frauen, die ihre Wäsche waschen, Bauern mit Eseln, sieht eine Beerdigung, Drogenschmuggler kämpfen sich durch die Fluten und Kinder nehmen ein Bad im Fluss. Über das Wakhan Valley, dem Vierländereck von Tadschikistan, Afghanistan, Pakistan und Indien, geht es endlich dem Himmel entgegen, denn die Serpentinen des Landwegs führen ins Pamir Gebirge, dem Dach der Welt, dem gefühlt irdischen Paradies auf über 4000 Meter Höhe. Weiße Wattewolken hängen wie Träume über dem endlosen Horizont des Pamir, so tief, als könnte man einfach nach ihnen greifen.

Pamir Highway

Die Serpentinen des Paradieses enden im Süden Kirgisistans. Doch weitere Serpentinen führen vorbei an Herden von galoppierenden wilden Pferden in die Hauptstadt Bischkek. Hier ist plötzlich Endstation, der Landweg zu Ende, die Religion vernichtet, Greta mundtot gemacht. Ein chinesisches Visum, das einen befugt weiter zu kommen ohne die Umwelt zu belasten, wird verweigert. Xinjiang, die Provinz im Nordwesten Chinas, soll von Fremden am besten nicht betreten werden, um der Unterdrückung der uigurischen Minderheit beiwohnen zu können. Also sagt man Rachmat, Xièxiè und Auf Wiedersehen. Religionen sind sowieso dafür gemacht, zerstört zu werden – keine Anhaftung an Nichts. Also nimmt man das Flugzeug in den Smog von Delhi und sagt: „Namaste India!“

Boris Guschlbauer veröffentlichte zuletzt Das Beste aus der ganzen Welt. Wenn er nicht gerade auf Reisen ist oder darüber schreibt, spielt er Gitarre und singt bei den unglaublichen Berliner Doom.

Alle Photos: Boris Guschlbauer

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