I ONCE FUCKED THEM ALL: ÜBERNACHTUNGSMÖGLICHKEITEN. VON MICHELLE-FRANCINE ULZ & JULIA KNAß

Foto: Down By Berlin

EINS

Ich bin 14, du bist 18. Du sitzt in einer Bar und bist der Freund eines Freundes. Ich trinke zu viel Wein und rauche meine ersten Zigaretten. Weißwein mit Limonade. Man will ja schließlich nichts schmecken. Du wirst mich später an der Hand nehmen und wir werden es treiben – dort in der Bar, auf der Toilette. Und ich werde froh sein, es hinter mir zu haben. Dieses erste Mal. Ich werde froh sein, zu erkennen, dass ich sehr wohl fähig bin, absolut gar nichts zu empfinden. 

Weißwein mit Limonade schmeckt seit dieser Nacht nach Toilettenerfrischer.

ZWEI

Ich bin 18, du bist ein Staubkorn. Ich habe seit drei Tagen nicht geduscht, meine Haare sind vom Sand verklebt, ich trinke jeden Tag eine halbe Flasche Wodka und Bier, wir schlafen in Zelten und ich halluziniere zwischen Konzerten auf meiner Isomatte, dass neben mir eine Orgie stattfindet. Dich treffe ich bei irgendeinem Konzert am letzten Tag, ich weiß nur, wir ficken im Zelt von einer fremden Person und dann hinter irgendeinem Gebäude, ich weiß auch das nicht mehr wirklich, nur dass du mir deine Nummer gegeben hast, die ich nie gewählt hätte.

DREI

Ich bin 18, du bist auf den Tag genau 10 Jahre älter. Du hast mich mit aufs Hotelzimmer genommen – mich und vier Männer. Wir reden über Musik und ich täusche vor, Heavy Metal zu mögen. Du berührst mein Bein. Ich gebe nach. Unter der Dusche soll es passieren. Ich höre dein Stöhnen und das Lachen der anderen, die noch im Zimmer sitzen. Wir rutschen im Sekundentakt aneinander ab. Während du kommst, zähle ich all die Orte, an denen ich Sex hatte. Zehn Männer. Elf Orte. Du bist heute Vater. Meine Zahl ist heute eine andere. 

VIER

Ich bin 19, du bist 25. Ich liege auf deinem Bett. Drei Stunden vorher haben wir uns kennengelernt, geraucht und miteinander getrunken, uns geküsst. An ein Gespräch kann ich mich nicht erinnern. Ich sage, dass ich wieder gehen müsse, weil meine Freundin noch in der Bar ist und wir vorhatten, die Nacht durchzumachen. Kein Schlafplatz in der Stadt. Du sagst, dass sie gerne auch bei dir schlafen könne. Ich schreibe ihr, ich habe uns eine Übernachtungsmöglichkeit organisiert. 

FÜNF

Ich bin 19, du wirst 25. Wir haben nicht sofort Sex. Ich bin das vierte Mal in seiner Wohnung. Wir liegen am Boden und hören Charles Mingus. Du gibst komische Laute von dir und ich rauche, bis du keine Zigaretten mehr hast. Irgendwann nimmst du meine Hand und führst mich ins Bett. Es werden noch drei Stunden vergehen, bis wir Sex haben. In diesen drei Stunden werde ich mich fragen, warum das Bett in deinem Wohnzimmer steht und wir trotzdem nicht „Schlafzimmer“ dazu sagen. Mir fällt auf, dass du drei verschiedene Haarfarben am Körper verteilst trägt und dass meine Brustwarzen nicht auf der selben Höhe sitzen. Du wirst mein 25ter Mann am 25ten sein. Ich werde später nicht mehr wissen, wie der Sex war, nur mehr, an welchen Stellen du mich berührt hast, an welchen nicht. 

Nach dir habe ich das mit dem Zählen verlernt. 

Das mit dem Zählen und wie man sich richtig verabschiedet. 

SECHS

Du: I loved you but just not enough. 

Ich: Tja.

Du: Alles wird gut. 

Ich: Bitte gib mir meine Vibratoren zurück. 

SIEBEN

Ich bin: 21. Du bist: eine weitere Nummer. Du wirst genau dieselben Geschichten über mich hören; die ich jedem erzähle. Danach. Ich kann die Menschen nicht wegstoßen –  mit dem Körper. (Du sagst das auch – dass ich zu klein, zu jung, zu-) Aber mit Geschichten. 

Die Tage, an denen wir FICKEN, sind getränkt in Whiskey und Wasser. Warum ich nie möchte, dass du bleibst. Die Tage danach sind Rechtfertigungen, die eigentlich Lügen sind. 

Ich möchte nicht hören, was du zu sagen hast. Ich möchte nur berührt werden, wenn ich betrunken bin. Ich möchte sonntags nicht wissen, wer samstags neben mir lag. 

Beim letzten Mal wirst du mir erzählen, dass du dich verlobt hast. Ich werde nie dich vermissen, aber etwas, das mir wichtig genug war, um es wegzustoßen. 

ACHT

Ich bin: 24. Du bist: 33. Wir lernen uns auf einer Party kennen, ich lade dich auf ein Bier ein, wir bleiben, während alle gehen. Ich küsse dich vor dem Lokal, du bringst mich nach Hause, obwohl du am anderen Ende der Stadt wohnst. Mir schwindelt von deinen Küssen. Als wir miteinander schlafen, fühle ich mich nicht gut und überfordert, aber ich denke, egal. Was los sei, fragst du. Aber ich kann dir nicht sagen, was, weil ich es auch nicht weiß. Ich fühle mich verwirrt und schuldig, du hältst mich im Arm und sagst, dass alles okay ist. Du bist der einzige, der merkt, wenn ich aus den Momenten falle, wenn ich nicht da bin beim Sex. Du sagst nach vier Monaten, dass dir das zu kompliziert ist mit mir; dass du so eine Verantwortung nicht tragen könntest.

NEUN

Du: Magst du? 

Ich: Was? 

Du: Magst du noch einmal? 

Ich: Was denn bitte? 

Du: Magst du noch einmal meinen Schwanz lutschen? 

ZEHN

Ich bin jung und du zu alt. Du magst es beim Sex zu schreien und zu beißen. Ich mag es, dich auszulachen, wenn du hinter mir bist. Wir werden zwei Monate lang jeden Donnerstag Sex haben. Für mich ist das Zeitvertreib und auf Freitag warten. Für mich ist das Schlafmöglichkeit, weil ich gerade keine eigene Wohnung habe. Und kostenloser Wein. Und Zehenlutschen ist für mich – mit allen Wassern gewaschen sein. 

Jeden Morgen wirst du mir Frühstück machen und mir erzählen, wer du warst und was du gerne sein möchtest und wie es sich anfühlt, wenn Jahre viel werden. Dein Körper auf meinem ist nur eine von vielen Möglichkeiten, meiner auf deinem Gewissensfrage. Ich mochte es immer – mich von dir zu verabschieden. Ich mochte es immer, zu merken, dass ich auf jeden herabblicken kann. 

ELF

Ich: Und wie findest du meine Texte?
Du: Wenn ich mit dir zusammen wäre, hätte ich Angst davor, mit dir zu schlafen.

ZWÖLF

Ich bin 25, er hat keine Eigenschaften für mich. Es ist ein perfekter Tag, es wird ein perfekter Abend. Ich bin mit Freundinnen auf einem Sportfest, ich trage ein Kleid, das ich in Frankreich gekauft habe, ich trinke und lache und flirte mit ihm. Wenn ich etwas perfekt kann, dann cool spielen, ich weiß, was ich antworten muss, dass er denkt, wow, ich weiß, wie viel Bier ich trinken muss, damit er denkt, wow. Irgendwann sag ich zu ihm, ich will dich jetzt!, ziehe ihn weg von den anderen, weg vom Fest, auf die Straße, zwischen Wohnblöcken auf eine Wiese, ich ziehe ihn aus, ich ziehe mich aus, wir ficken. Ich habe es als Bild abgespeichert, ich bin in der Früh nach Hause gekommen und war stolz auf mich, dass ich das noch kann. Mich frei fühlen. Einen Abend lang nicht an dich denken.

DREIZEHN

Sie: Ihr könntet Sex haben. 

Ich: Mir auch schon egal.

FIN

Titeloto: Sarah Tascha Hauber

Michelle-Francine Ulz veröffentlicht Textminiaturen auf Instagram und in der Literaturzeitschrift mischen. Julia Knaß ist Mitherausgeberin der Literaturzeitschrift mischen, lebt und schreibt in Graz. Auf Twitter ist sie hier zu finden.

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